Die dritte Ausgabe des Fachbuchs „Bewegungsapparat Pferd – Praxisbezogene Anatomie und Biomechanik“ ist in diesem Jahr im Thieme-Verlag erschienen. Die AutorInnen Michaela Wieland-Findeis, Claudia Schebsdat und Jörne Rentsch gehen auf 224 Seiten ausführlich auf die Anatomie des Pferdes ein, verdeutlichen den funktionellen Zusammenhang einzelner Kompartimente und verknüpfen dies wiederum mit der Praxis.
Das Buch gliedert sich in vier Teile. Auf die „Grundlagen“ folgt die „Funktionelle Anatomie“, die „Bewegung des Pferdes“ und ein abschließender Teil als „Anhang“ mit diversen Tabellen und Verzeichnissen.
Im ersten Teil wird ausführlich die Grundlagen der (Pferde-)anatomie behandelt. Es beginnt ganz grundlegend mit dem Gewebe und wiederholt verschiedene Aufbauten und Arten. Auch auf die verschiedenen Wundheilungsphasen wird ergänzend eingegangen. Zu den verschiedenen Faszien gibt es anschauliche Bilder, in denen beispielsweise auch Fasziengriffe gezeigt werden. Bereits hier bleibt das Buch seinem Titel des „Praxisbezuges“ treu. Auf den Teil des Gewebes folgt ein Teil über Knochen mit deren Aufbau, Funktion, Formen und auch hier wird exemplarisch auf die Knochenheilung und dass leichte Bewegung durchaus förderlich ist, eingegangen. Weitere Abschnitte über Gelenke, Bändern und Muskeln folgen, die ähnlich wie die ersten beiden sehr anschaulich und praxisorientiert gestaltet sind. Auf das Nervensystem wird im Anschluss besonders ausführlich eingegangen. Gerade die Spinalnerven sowie die verschiedenen Plexus werden sehr detailliert beschrieben. Des Weiteren ist anschaulich aufgeführt, welcher Nerv jeweils welchen Muskel innerviert. Die Muskeln werden im späteren Verlauf des Buches zwar noch eingehend behandelt, dennoch ist es als eine kleine Übersicht vorab sehr schön.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der funktionellen Anatomie und ist der mit Abstand ausführlichste. Er beginnt mit einer Einleitung über die allgemeine Biomechanik, die „Mechanik des Lebens“, teilt den (Pferde-)körper in funktionell verschiedene Bereiche und beschreibt unter anderem die Hintergründe der Gelenkmechanik. Im Punkt der Rumpfkonstruktion und Statik war besonders interessant, dass der Masseschwerpunkt beim Pferd im Bereich der 11./12. Rippe liegt, sich daraus eine Belastung von 58% auf der Vorderhand ergibt. Dies führt dazu, dass die Schultergliedmaße einer höheren Belastung ausgesetzt ist, diese für die Haltearbeit deutlich sehniger ist und die Hinterhand im Vergleich dazu vor allem der Kraftentwickelung dient und sich dadurch eine stärkere Bemuskelung ergibt. Die folgenden Teile über die Schulter-/ und Beckengliedmaße sind sehr ähnlich aufgebaut. Zu Beginn wird ein Überblick über die knöcherne Gliedmaße gegeben. Es gibt Fotos und detaillierte Abbildungen mit passender Beschriftung. Die Knochen werden im Anschluss im Einzelnen nochmals genauer, mit beschrifteten Knochenpunkten, abgebildet – auch im Hinblick auf die beteiligten Gelenke. Die Muskeln der jeweiligen Gliedmaße sind dann schematisch gezeichnet und ausführlich, vor allem auch in ihrer Funktion, beschrieben. Im Teil der Hintergliedmaße wird zudem die wichtige „Spannsägenkonstruktion“ als passive Stehvorrichtig behandelt. Zu Beginn des „Kopfteils“ gibt es einen kurzen geschichtlichen Einstieg über die Hintergründe der Osteopathie zur Beweglichkeit der Schädelknochen aus der Human-Osteopathie. Demnach soll die Mobilisation einzelner Schädelknochen die Selbstheilungskräfte aktivieren. Die Schädelknochen sind auf Schädelfotografien bunt angemalt dargestellt. Die Darstellung der Muskeln folgt denen der Gliedmaßen. Ein besonderes Augenmerk wird auch auf die Wirbelsäule gelegt. Zunächst erhält man einen Überblick über den Aufbau in Bezug auf die Wirbel, Wirbelgelenke, den Disci intervertebrales und die mögliche Gliederung in einzelne Segmente. In der Betrachtung der Halswirbelsäule wird ein besonderes Augenmerk auf Atals und Axis gelegt. Zur Verdeutlichung der Muskelverläufe sind unter anderem Bilder von Pferden in Bewegung abgebildet. Weitere Fotos zeigen Griffe zur Mobilisation zum Beispiel der Ganaschen Region. Als Praxistipp wird außerdem darauf eingegangen, wie die sogenannten „Schwebetritte“ zustande kommen. Der Teil der Brustwirbelsäule behandelt ergänzend zum Aufbau auch die „Bogensehnenbrücke“, sowie die Auswirkungen von Bewegungseinschränkungen, Verspannungen und Blockierungen. Die Lendenwirbelsäule schließt den zweiten Teil und enthält eine sehr genaue Ausführung über die Bedeutung dieser. Auf einigen Fotos ist die Stäbchentechnik dargestellt, die zum Testen der Selbstneigung, Flexion und Selbstneigung der Lendenwirbelsäule dient.
Der dritte Teil setzt nun die bisherigen Ausführungen über die Pferdeanatomie in Kontext. Es wird auf die Skala der Ausbildung eingegangen, in der an Punkt 1 und 2 Takt und Losgelassenheit stehen. Wie wichtig diese beiden Punkte sind, woran man erkennt, ob ein Pferd richtig im Takt und losgelassen läuft ist sehr genau beschrieben, sodass dies auch für „Nichtreiter“ erkennbar werden müsste. Ein Ziel in der Ausbildung sollte zudem auch immer die Balance sein; sowohl innerlich, muskulär und in der Bewegung. Die Haltung des Reitpferdes, in Abhängigkeit von Rückentätigkeit und davon abhängig die Haltung des Halses ist dabei auch zu beachten. Als Schlüsselpunkt gilt der CTÜ (Cervicothorakaler Übergang). Des Weiteren wird auf weitere Punkte der Skala der Ausbildung, wie das Geraderichten und die Versammlung, eingegangen. Die Ausführungen werden durch Bilder ergänzt und veranschaulicht.
Im vierten Teil, dem Anhang, findet man Muskeltabellen jeweils mit Ursprung, Ansatz, Funktion und Innervation. Es ist in Kopf, Hals, etc. unterteilt. Zuletzt folgt noch ein Sachverzeichnis.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Buch den Erwartungen eines „praxisbezogenen“ Anatomiebuches absolut gerecht wird. Es wird immer wieder auf die Biomechanik eingegangen und die Anatomie funktionell in Zusammenhang gebracht. Fotos am Tier selbst zwischen den theoretischen Teilen dienen zur Verdeutlichung der Anwendbarkeit in der Praxis. In den Teilen zu den Muskeln gibt es immer wieder kurze Steckbriefe in kleinen Kästchen, die das Wichtigste auf den Punkt bringen und das Ganze sehr übersichtlich gestalten. Sehr begeistert war ich zu dem von den Kästchen mit den „Praxistipps“. Dort wird zum Beispiel beschrieben wie Blockaden hervorgerufen werden und über welche Wege in der Anatomie es zu welchen Folgen und Symptomen kommen kann. Außerdem ist beispielweise beschrieben, wie man in bestimmten Situationen mit dem Patienten Pferd umgehen sollte (wo berührt man es am besten, wo nicht; wo könnte es noch weh tun wenn es hier und da weh tut). Was man aus den „Thieme“-Büchern oft kennt sind dickgedruckte Schlagwörter, die die einzelnen Seiten etwas übersichtlicher gestalten. Diese Struktur sucht man in diesem Buch etwas. Lediglich im dritten Teil wird man dazu fündig. Insgesamt ist es aber ein sehr anschauliches, gut strukturiertes Buch, das auch „Nicht-Reitern“ einen guten Einblick gibt, wie wichtig eine korrekte Ausbildung, Bemuskelung, Gymnastizieren und Balance des (Reit-)pferdes ist. Die Anatomie im zweiten Teil ist hierzu sehr ausführlich gehalten, wodurch die Zusammenhänge im kürzeren dritten Teil umso deutlicher gemacht werden können. Und so stimme ich einem Satz auf dem Klappentext des Buches vollends zu: „Statische Anatomie muss man lernen, funktionelle Anatomie muss man verstehen“. Das Buch ist absolut wärmstens zu empfehlen!
Rezension von Anna Melzer
„Bewegungsapparat Pferd“
Michaela Wieland-Findeis, Claudia Schebsdat, Jörne Rentsch
Thieme, 3., korrigierte Auflage 2021
Gebundene Ausgabe, 224 Seiten
ISBN: 978-3-13-244-397-6
Preis: 99,99,-
*Vielen Dank an den Thieme-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars*
