“Wir haben nur zwei Wochen Zeit zwischen der letzten Prüfung nach dem achten Semester und dem ersten Praltikum, da machen wir doch keinen Urlaub in Asien, das lohnt sich nicht für die kurze Zeit!”, sage ich noch.
Und dann kommt diese Nachricht von Hollis, einer meiner „Elefanten-Bekanntschaften“. Die Welt der Fans asiatischer Elefanten ist kleiner, als man denkt – irgendwie kennt jeder jeden, obwohl diese Laute, Tierschützer, Tierärzte, Langzeit-Volunteers – in Europe, Amerika und Asien leben. Jedenfalls kenne ich Hollis duch ein Projekt in Nepal und nun fragt sie mich, ob ich nicht Interesse an einem Workshop hätte, eine Woche lernen und arbeiten mit Susan Mikota und Willem Schaftenaar. Die beiden sind Koryphäen auf dem Gebiet der Elefantenmedizin, ich bin seit vielen Jahren großer Fan von Mikota und habe ihre Artikel zu Tubekulose und Herpes bei Elefanten schon gelesen, als ich noch keine Ahnung hatte, was PCR und ELISA bedeutet.
Also bewerbe ich mich natürlich!
Neben erfahrenen Tierärzten aus Indien, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam, Sri Lanka, Nepal und Indonesien bin ich die einzige Studentin, die an dem Workshop teilnimmt. Und so fliege ich Mitte September nach Myanmar, dem ehemaligen Birma, sieben Tage das Land angucken, sieben Tage lernen.
Wir treffen uns abends in einem Hotel in Mandalay, in dem ich mich nach einer Woche in billigen Mehrbettzimmern und nichts als Bananen zum Frühstück mit meinem Rucksack etwas fremd fühle. Unter den Teilnehmern sind Molly, Dauer-Volunteer und Freundin eines Bekannten von mir aus Nepal, Malaka, der in einer Elefantenauffangstation in Sri Lanka arbeitet, die ich schon immer besuchen wollte, Tinh aus Vietnam, der nicht nur Dr. Schaftenaar, sondern auch Molly und Janine Brown (eine weitere Dozentin) bereits kennt. Wie gesagt, die Elefantenwelt ist klein. Ich frage gleich mal Pandey aus Nepal, wie es meiner Lieblingselefantin Prakriti Kali geht. Der eigentliche Veranstaltungsort liegt natürlich nicht in der zweitgrößten Stadt des Landes, das erst seit wenigen Jahren für Touristen geöffnet ist, sondern drei Stunden davon entfernt. Nach einer kurvigen Fahrt in zwei Minibussen steigen wir in Kalaw aus, das früher eine sogenannte „hill station“ der Briten war. Auch für dieses Hotel bin weder ich Backpackerin, noch die nicht besonders wohlhabenden Tierärzte aus Südostasien gemacht, aber diese konnten sich die Teilnahmegebühren sponsern lassen, das Essen ist fantastisch (dreimal täglich typische Shan-Küche im All-you–can-eat Buffet) und es gibt einen Tagungsraum.
Dort erzählt uns Khyne U Mar, Elefantentierärztin, die in England lehrt, alles, was es über die wilden Elefanten und die in Gefangenschaft hier in Myanmar zu wissen gibt. Denn seit das Holzfällen im großen Stil hier verboten ist, sind die Arbeitselefanten arbeitslos.
Ihr kennt das Problem vielleicht aus Thailand: Auch dort wurden die grauen Riesen im Forstabbau eingesetz, bevor es die Maschinen gab und später dort, wo die Maschinen nicht hinkamen. Jetzt, arbeitslos und zu sehr an den Menschen gewöhnt, um sie auszuwildern, steht man vor der Frage: wohin mit den Arbeitselefanten. Denn da die Tiere um die sechzig Jahre alt werden, muss man sie noch einige Zeit beschäftigen. Und auch die Mahouts, also „Elefantenführer“, die eine enge persönliche Bindung zu ihren Elefanten haben, brauchen natürlich weiterhin einen Job.Während in Thailand eine Menge „Sanctuaries“ eröffnet haben, die manchmal nur zur Bespaßung von Touristen dienen und bis vor nicht allzu langer Zeit die Tiere als Bettler auf der Straße Kunststücke vorführen mussten, hat Myanmar eine annehmbare Lösung gefunden: Auch hier sind Touristen die Haupteinnahmequelle, aber es wird nicht geritten, nicht angefasst, es gibt keine Shows. Nachts treiben sich die Elefanten selbstständig im Dschungel herum, morgens kommen sie zu ihrem jeweiligen Mahout zurück. Sie werden trainiert, damit man im Ernstfall medizinische Behandlungen gut durchführen kann und zum Beispiel problemlos Blut aus der Ohrvene entnehmen kann, nicht, um etwas vorzuführen. Auch gibt es regelmäßige Fußpflege für die Dickhäuter.
An Tag zwei bekommen wir endlich Elefanten zu sehen: Es geht wieder fast eine Stunde lang die Serpentinen nach unten, Naresh aus Indien ist schon ganz schlecht, dann sind wir im Green Hill Valley. Noch mehr richtig gutes Essen, Vorträge unter einem Dach mitten im Regenwald, Body Condition Scoring und Allgemeinuntersuchung am Elefanten, Target Training mit Erin Ivory aus dem San Diego Zoo.
Auskultieren ist hier nicht, aber am Ohr kann man mit etwas Übung den Puls fühlen. „Und macht immer Fotos!“, schärft uns Susan Mikota ein. „Von den Ohren, den Augen, den Fußsohlen… überall, wo Probleme häufig auftreten können. Erst danach gehen wir ran ans Tier.“
Und das natürlich nie ohne den Mahout, den man zum Verhalten des Elefanten ausfragt und der im Zweifelsfall Untersuchung und Behandlung übernimmt. Asiatische Elefanten sind eigentlich gutmütige Tiere, aber bei der Kraft und Körpermasse geht man lieber auf Nummer sicher.
Es folgen Klickertraining, Vorträge zu Augenerkrankungen und Wundbehandlung, Sedation und Schmerzmedikation, weitere Fahrten durchs Gebirge und noch mehr gutes Essen.
Mit Tierärzten und der Verhaltensexpertin Erin Ivory bildet der Workshop ein ganzheitliches Konzept. Ein Elefant mit Zahnproblem muss untersucht und dann vielleicht operiert werden. Bereits vor einer Woche haben Erin und der Mahout mit dem Training angefangen: Der junge Elefantenbulle präsentiert jetzt auf Befehl an einem vorgegeben Ort sein Zahnloch und lässt sich sogar schon dort anfassen. Nein, beschließt Willem schließlich, das ist nicht schlimm genug für eine OP, das wird besser regelmäßig gespült. Eine Narkose am Elefanten ist mit hohem Risiko verbunden.
Wir überlegen trotzdem gemeinsam, wie man vorgehen könnte: Wo, wie, welche Schutzmaßnahmen für Mensch und Tier? Welches Narkoseprotokoll? Wohin könnten wir ausweichen, wenn er plötzlich aufwachen würde? Welche Materialien stehen uns zur Verfügung, um das Tier während der OP gut abzupolstern? Und welche Medikamente sind überhaupt in Myanmar verfügbar? Das ist in Asien ein großes Problem, bei weitem nicht alles von dem, was für Susan und Willem in den USA beziehungsweis ein den Niederlanden erhältlich ist, kann man hier bekommen. Man muss oft improvisieren. Und das Geld spielt auch eine Rolle.
„Wir wollen, weil wir Tierärzte sind und das so gelernt haben, Wunden gerne mit sterilem NaCl spülen“, sagt Susan, „aber ganz ehrlich, mit Leitungswasser geht es genauso gut. Vielleicht kocht ihr es vorher ab, wenn ihr nicht sicher seid, wie sauber es ist, aber das ist auf jeden Fall billiger.
Auch die Größe der Elefanten zwingt zu kreativen Lösungen, zum Beispiel, indem der Mahout oben drauf sitzt, während er die Behandlung durchführt, oder indem man Infusionen (in der Regel auch einfach Leitungswasser) mit einem Schlauch rektal eingibt. Dazu stellt man den Elefanten am besten kaudal auf einen Sandhügel, damit nicht gleich alles wieder rausläuft.
Über die nächsten Tage wird der Workshop immer interaktiver. Die Vortragenden haben von manchen Erkrankungen oder Behandlungen selbst nur wenige erlebt, aber immer wieder haben die Teilnehmer Erfahrungsberichte dazu. Nur veröffentlicht niemand seine Fallberichte.
„Ich werde eine Homepage eröffnen müssen, die n=1 heißt“, schlägt Willem schließlich vor. „Damit ihr keinen richtigen wissenschaftlichen Artikel schreiben müsst, da kann dann jeder einfach formlos schreiben: Wir hatten das und so sind wir vorgegangen.“
Willem hat sich beispielsweise schon dreimal an Kaiserschnitten versucht, da der Abstand zwischen Rippenbogen und Becken aber so gering ist, ist es kaum möglich, und es dauert so lange, dass in allen drei Fällen mindestens eines der Tiere verstarb. Durch die einzigartige Anatomie der Elefanten ist es jedoch möglich, bei Geburtsproblemen einen Dammschnitt zu machen und das Kalb von kaudal aus der Vagina zu ziehen, die nach ventral zwischen die Hinterbeine verläuft. Hier hat zum Beispiel Pangaus Thailand eine Menge Erfahrung.
Molly ist eine der wenigen, die als „Elephant-Manager“ und nicht als Tierärzte hier sind und findet das Thema Geburtshilfe auf andere Art faszinierend als wir: „Unglaublich, eigentlich sind alle hier eher schüchtern, es melden sich vielleicht mal zwei Leute, aber sobald es um Repro geht haben alle ganz viele Fragen!“
Ich denke kurz darüber nach. Naja, Repro ist halt wichtig. An der Uni fand ich immer, es gibt viel zu viel davon, Vorlesungen, Quoten, Seminare,… aber als ich im Amtspraktikum eine Besamungsstation besuchen durfte, fand ich das auch spannender als alles andere. „Ja, Repro ist irgendwie ein richtig interessantes Thema“, antworte ich schließlich vage.
Nach dem Mittagessen dürfen wir unter Willems Anleitung rektale Ultraschalluntersuchungen durchführen. Ja, so kann man eine Schwangerschaft feststellen. Und nein, bis zu den Uterushörnern kommt man nicht. Aber bis zur Zervix. Und mit einer Verlängerung für den Schallkopf sogar bis zum Corpus Uteri.
Während immer einer gemeinsam mit Dr. Schaftenaar seinen Arm in die brave Elefantenkuh steckt, entwickelt sich eine Diskussion über die beste Stelle für intramuskuläre Injektionen. Vorderbein? Hinterbein? Glutealmuskulatur? Die Haut von Elefanten ist zwar nicht ganz so dick, wie man beim Namen „Dickhäuter“ vermuten könnte, aber wenn man noch das subkutane Gewebe mitbedenkt, braucht man schon eine lange Kanüle, und auch die reicht nicht überall. Kurzerhand messen wir die Hautdicken an den Stellen, an denen die verschiedenen Tierärzte so injizieren. Und zwischen 1,2 (hinter dem Ohr) und 3 Zentimetern (Semitendinosus), die man überwinden muss, um bis in den Muskel zu kommen, ist alles dabei. Schnell sind die Stellen mit den entsprechenden Zahlen auf Fotos markiert und an alle per LINE, dem asiatischen Pendant zu WhatApp, an alle verschickt.
Was bei so einem Lehrgang natürlich auch nicht fehlen darf, sind Urin- und Blutanalysen.
„Serum ist flüssiges Gold für mich!“, ruft Janine Brwon aus, die uns am liebsten den ganzen Tag in Vorträgen über Cortisolwerte in Blut und Haaren vorschwärmen würde und Reproduktionszyklen per Hormonmessungen in Blut, Urin und Dung überwacht.
Auch hier haben wir die zwei gleichen Hauptprobleme: Es gibt kaum Daten und damit keine zuverlässigen Referenzwerte (gibt es Diabetes bei Elefanten? In Zoos bestimmt. Aber wie hoch sind die GluKosewerte eigentlich?) und im laotischen Dschungel hat man nicht das gleiche Equipment wie in der Universität von Chiang Mai oder einem Labor in Tennessee.
Wir üben Blutausstriche und zählen Leukozyten unter einem Mikroskop, das per WLAN mit einer App auf unseren Handys verbunden ist. Jeder kann auf seinem Bildschirm sehen, was derjenige gerade sieht, der durchs Okular guckt.
„Habt ihr denn alle eine Zentrifuge am Arbeitsplatz?“, fragtWillem und zeigt uns, wie man aus Pappe, einer Schnur und etwas Klebeband eine basteln kann. Es ist körperlich dann ziemlich anstrengend, das Blut zu zentrifugieren, bevor es in den Hämatokritröhrchen gerinnt, aber sobald man die Technik raus hat, funktioniert es genauso gut wie per Knopfdruck.
Beim Abendessen wird selbstverständlich auch über Elefanten geredet. Der eine zeigt Fotos von süßen Elefantenbabys, die andere aus dem OP, einer erzählt von seiner letzten Obduktion, einer von Transporten der Tiere. Erfahrungsberichte werden ausgetauscht, jeder hat irgendwelche Fragen und irgendwelche Antworten.
Ich kann natürlich noch keine Elefanten-Behandlungserfolge zum Besten geben, aber für eine Studentin hat der Workshop noch einen weiteren riesigen Vorteil. Kontakte knüpfen.
„Du hast ja meine Emailadresse, falls du noch mehr Fragen hast“, sagt Willem Schaftenaar; „Komm doch mal vorbei und mach ein Praktikum bei uns!“, sagen Tierärzte aus Laos, Indien, Sri Lanka und Kambodscha. Also sollte ich nach dem Abschluss keinen Job in Deutschland finden, Elefanten wären da.
Bericht von Marina Loch
Schaut doch auch mal auf Marinas Blog vorbei: https://www.ina-on-the-road.com