§55 Abs. 2 TAppV: „Die praktische Ausbildung in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung bei einer für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung von Rind oder Schwein in einem Schlachthof zuständigen Behörde dauert 100 Stunden. Sie ist innerhalb von mindestens drei aufeinanderfolgenden Wochen abzuleisten.“
Aus den Gullis dampft es, man kann das Blut riechen. Die Autos auf dem Parkplatz haben hauptsächlich ungarische Kennzeichen. In dem „Pausenraum“ mit dem Kaffeeautomaten und einer Menge voller Aschenbechern werden wir von ein paar Männern in ehemals weißer, jetzt eher gelblicher Schutzkleidung mit leerem Blick angestarrt. Natürlich musste ich das Praktikum auch noch in den Herbst legen – mir ist jetzt schon zu kalt, wo ich noch nicht mal die Ärmel hochgekrempelt habe.
Ich bin froh, nicht die einzige Praktikantin zu sein, als ich am Schlachthof ankomme – meinem Arbeitsplatz für die kommenden drei Wochen. Zu zweit werden wir das schon schaffen
Vor dem Schlachthofpraktikum habe ich mich schon gefürchtet, da hatte ich mich noch gar nicht immatrikuliert. Im Lebensmittelkurs aber dachte ich dann: Schlimmer kann dieses Studium eigentlich gar nicht mehr werden. Jetzt ist es so weit und ich habe keine Angst davor.
Wir werden schließlich vier Jahre lang darauf vorbereitet. Kittel, Schürze, Stiefel, Helm. Messer.
Früher hätte ich an die vielen toten Tiere um mich herum gedacht. Im neunten Semester denke ich: „Weibliches Tier. Und jetzt hier hin gucken, da ist der Lymphknoten, so muss der Schnitt.“
Es gibt da hinten ums Eck diesen Aufzug. Wenn man durch die Schleuse hereinkommt, kann man den sehen. Zwei Schweine gehen hinein, fahren nach unten. Wenn sie wieder raufkommen, liegen sie und atmen nicht mehr.
Dort, wo wir stehen, trennen uns zwei Meter von den beiden Schweinehälften, vor uns baumelt das Geschlinge, also Rachen, Trachea, Lunge, Herz und Leber. Das ist unser Aufgabengebiet. Der Rest wird ausgeblendet.
Betreut werden wir hier von einem Verwaltungsbeamten, der immer wieder nachfragt, wie wir klarkommen und ob wir gut behandelt werden, und der sich gleich zu Beginn entschuldigt hat, dass es manchmal etwas ruppig zugehen kann, dem Amtstierarzt und drei amtlichen Fleischkontrolleuren, die uns zeigen, wie man die Schnitte führt, um möglichst schnell alle relevanten Strukturen zu sehen. Krankheitsanzeichen? Weg damit. Komischer Fleck? Abschneiden. Dann fährt das Fließband schon weiter und das Geschlinge wird vom nächsten Mitarbeiter an einen anderen Haken gehängt.
Bevor es losging, mussten wir natürlich eine Datenschutzerklärung unterschreiben. Fotografieren und Handynutzung verboten. Aus Schutz vor Tierrechtlern, das kennen wir ja schon. „Seid ihr Vegetarier?“, fragt der Amtstierarzt. „Das sind nämlich die Schlimmsten.“ Er lacht, wir unterschreiben und schalten die Handys aus.
„Und das hier ist sicher euer Traumjob, was?“, fragt er mit verschmitztem Grinsen. „Kleiner Scherz. Man braucht Humor, um es hier auszuhalten.“
So unheimlich mir auch die Leute vorkommen, die in vergilbten Gummistiefeln und Schürzen die Tiere aufschneiden: alle, mit denen wir Praktikanten zu tun haben, sind sympathisch, nett, und mit einem fragwürdigen Humor ausgestattet – wie wir Vetis ja auch.
„Trinkt ihr Kaffee?“, werden wir zum Beispiel gefragt, als eine Zuchtsau gerade in zwei Hälften gesägt wird. Ich schüttle den Kopf. „Naja, Sauenmilch geht bestimmt auch gut im Tee!“ Der Fleischkontrolleur zeigt auf die Zitzenreihen, an denen Milch herunterläuft.
Wir schlachten hier Schweine und Rinder, mittags muss daher geputzt und ein bisschen umgebaut werden. Die Kollegen bespritzen sich da schon gerne mal gegenseitig mit Wasser, bieten uns Gulasch aus den Trichinenproben an oder werfen ein Auge, das noch am Boden lag, durch den Raum.
Von morgens um sechs bis nachmittags um drei erleben wir hier Sachen, die man eigentlich keinem Nicht-Tiermediziner erzählen darf – aber unter uns Vetis ist es auch nicht besonders ungewöhnlich.
„Mir ist voll die Suppe ins Gesicht gespritzt, als ich den Ösophagus zum Magen-Darm-Trakt geworfen habe“ oder „Nimmt der mir einfach die Lunge aus der Hand, weil ich zu langsam war“, sind Sätze, die ich genauso gut im Präpsaal oder in der Patho hätte sagen können.
Wir schneiden Lebern an, Lymphknoten an der Lunge durch und öffnen Herzen. Vormittags vierhundertdreizehn Schweinelungen, nachmittags siebenundachzig Rinderherzen. Ich achte auf Pneumonien, milk spots, Verklebungen, bin stolz, wenn mir der Herzschnitt gelingt, spüle mir das Blut von den Armen, schärfe das Messer, und finde es gar nicht so seltsam, dass der Amtstierarzt mich für eine gute Köchin hält, als er meine Messerführung beobachtet. Zwischendurch frage ich mich, was der Typ mit der großen Säge wohl sagt, wenn er beim ersten Date gefragt wird, was er beruflich macht.
Das Tiermedizinerhirn kann schon komisch sein. Ein paar Meter weiter werden hunderte von Tieren getötet, aber wir sehen nur die Geschlinge und lachen über irgendwelchen dämlichen Witze. Die frisch toten Organe sind schön warm. Unser Tierarzt ist wirklich nett uns besorgt und fragt mehrmals am Tag nach, ob uns auch wirklich nicht schlecht wird, so als Vegetarier. Nachher gehen wir alle nach Hause, waschen uns das Blut aus Gesicht und Haaren, den Schlachthof-Geruch von der Haut, gehen zurück zum Rest der Welt, dem nicht stundenlang Blut die Arme entlang läuft oder auf die Nase spritzt. Was wohl die Polizei sagen wird, wenn sie den Kofferraum mit meinem dreckigen Kittel aufmacht?
Das Letzte, was ich abends vor dem Einschlafen sehe, sind Lungen.
Natürlich ist allen, die uns betreuen klar, dass wir nicht freiwillig hier sind. Trotzdem ist viel Eigeninitiative gefragt, wenn man nicht nur drei Wochen am Fließband stehen und Lungenlymphknoten anschneiden will. Also frage ich morgens einfach, ob ich noch mit zur Schlachttieruntersuchung kommen darf, dem Tierarzt über die Schulter gucken darf, wenn er die auf Verdacht aussortierten Schweinehälften überprüft, und so weiter.
Ich bin schließlich hier, um etwas zu lernen, und sei es nur „für’s Leben“, weil wir uns alle ja nicht vorstellen können, jemals hier zu arbeiten. Also nehme ich dieses Praktikum wie jedes andere auch. Dann sind die drei Wochen auch schneller um, als wenn man nur darauf wartet, dass es endlich vorbei ist.
Wir werden acht Semester lang darauf vorbereitet, tote Organe in der Hand zu halten und zu beurteilen. Wir hier wissen alle, woher das Fleisch kommt. Dass ich nach Feierabend im Supermarkt absolut nicht nachvollziehen kann, wie andere Leute noch Schweinefilet kaufen können, ist eine andere Sache.
Nach vier Jahren Tiermedizinstudium ist das Schlachthofpraktikum nichts mehr, wovor ich mich fürchten müsste.
von Marina Loch. Besucht ihren Blog unter http://ina-on-the-road.blogspot.com
Bildquelle: https://service.stadtlaufen.de/schlachthof.html
Toll geschrieben! Super Text, der jedem zugänglich ist. Klasse, um den jüngeren Semestern auch die „Angst“ vorm Schlachthof zu nehmen. Persönlich finde ich den unillusorischen, aber realistischen Blickwinkel auf die Schlachtung hier sehr gut. Wer etwas verändern will, muss sich erst einmal ein Bild vom Problem machen. Also noch einmal: Toll geschrieben!
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Hallo Jan, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Wir sind sehr froh wenn wir Feedback bekommen.
Lg dein ASTA Team .
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