Warum in Deutschland arbeiten, wenn man dies genauso gut auch im Ausland machen kann? Oder vielleicht sogar besser. Nachdem ich Hannover bereits für ein Forschungspraktikum bei Bayer in Wuppertal verlassen musste, stand die weitaus längste Reise am Ende meines PJ vor mir, als ich in Düsseldorf ins Flugzeug stieg. 8 Wochen arbeiten, 3 Wochen Urlaub mit zwei Kumpels – klingt nach einer guten Work-Life-Balance. Zuvor stand ich mit mehreren Praxen in Neuseeland via Email in Kontakt und entschied ich mich am Ende für die Bay Veterinary Group mit 3 Praxen in Whakatane, Edgecumbe und Kawerau in der Region Bay of Plenty auf der Nordinsel Neuseelands. Carol, eine liebevolle ältere Dame und zuständig für die Finanzen, organisierte alles für mich, so dass ich voller Vorfreude meine letzte Etappe startete. Zusammen mit 3 Mitbewohnern/Innen (eine davon war meine Kollegin) und unserem Hund „Moss“ wohnte ich direkt am 12km langen Ohope Beach; sehr praktisch, wenn man nach der Arbeit noch Fische für´s Abendessen fangen möchte oder nach der Hausparty am Morgen danach mal eben ins Meer springen „muss“, um den Kater einigermaßen zu bekämpfen. Mit Blick aufs Meer, White und Whale Island direkt aus meinem Zimmer startete ich also mein Praktikum.
Ich arbeitete fast ausschließlich in Edgecumbe, da diese Klinik eine Art Zentrale für alle Großtier-Tierärzte war. Viele Leute in Deutschland sprachen mich darauf an, warum ich denn ausgerechnet im neuseeländischen Winter (18°C und Sonne) dorthin flöge: „Calving Season!“, ist meine Antwort. Fast alle Betriebe synchronisieren ihre Färsen und Kühe, so dass die Kälber im Juli und August zur Welt kommen. Das hieß für mich, viele Geburten mit „Lage/Stellung/Haltung-Anomalien“, Fetotomien, Kaiserschnitte und Torsio uteri. Leider haben die Landwirte hier so viele Kühe und Arbeit, dass es eher eine Seltenheit ist, wenn ein Kalb noch lebt und wir zur Farm gerufen werden. Den Satz „Ich habe die Kuh schon seit 5 Tagen gemolken und heute Morgen ist mir aufgefallen, dass sie noch ein Kalb in sich hat – stinkt und ist ziemlich verrottet“, hörte ich mehr als einmal. Abgesehen davon, war ich immer erpicht darauf, zu einer Geburt gerufen zu werden, denn jeder Fall ist anders und Erfolg und Misserfolg sind direkt sichtbar. Hier gibt es sogar einen von Bayer ausgeschriebenen Wettbewerb, den „Calving Cup“, wo am Ende der Saison der Tierarzt mit den meisten Geburten prämiert wird. Einer unser Seniorchefs gewann jenen letztes Jahr und war extrem motiviert, der Erste zu sein, der dies direkt wiederholt. Ein Nachteil der Saisonalität ist leider, dass alle Kälber irgendwann auch enthornt werden müssen. Aus diesem Grund war es möglich, an einem Morgen in einem Betrieb 150 Kälber enthornen zu müssen, was nach mehreren Wochen dann eher langweilig wird. Generell durfte ich alles direkt selbst ausprobieren und natürlich klappte nicht alles direkt auf Anhieb, aber ich konnte mir keine bessere Art und Weise vorstellen, in so kurzer Zeit so viel Erfahrung zu bekommen. Unter anderem mussten wir ein Lamm wegen eines bilateralen Entropiums operieren und nachdem ich mir angeschaut hatte, wie mein Kollege die eine Seite erledigte, gab er mir einfach das Besteck in die Hand und meinte lässig: „Du hast ja jetzt gesehen, wie es funktioniert. Ich mache Mittag“, und ließ mich alleine. Andere Highlights für mich (meistens nicht für das Tier) waren eine Kuh mit Tetanus oder eine andere mit Hydroallantois. Insgesamt habe ich in diesen 8 Wochen so viel gelernt, vor allem auch praktisch, wie in keinem anderen kurativen Praktikum zuvor. Zurückkommend auf die oben angesprochene Work-Life-Balance, ist dies ein wichtiger Punkt für alle Kiwis hier. Ja, auch Tierärzte können normale Arbeitszeiten haben. Offizieller Beginn war um 8 Uhr, kein Tierarzt kam vor 8:30 Uhr und kein Termin wurde vor 9 Uhr angenommen. Mittagspause und Tee waren fester Bestandteil des Tagesplans und Arbeitsschluss für alle, die nicht on call waren, war um 17 Uhr. So blieb also genug Zeit für mich nach Feierabend oder am Wochenende viel zu unternehmen, Leute kennenzulernen und die Gegend zu erkunden, denn abgesehen von der Kälbersaison, wollte ich natürlich Neuseeland bereisen und die Natur genießen. Ich kann jedem nur empfehlen, solche Erfahrungen zu sammeln und während des PJ ins Ausland zu gehen. Man sieht so viele Dinge, die man in Deutschland evtl. nicht zu Gesicht bekommt und allein wegen der neuen vielen Bekanntschaften und Freundschaften lohnt es sich ungemein. Lebensmittel und Alkohol sind relativ teuer hier und natürlich muss man irgendwo wohnen und erst einmal dorthin fliegen, aber sowohl die Uni als auch z.B. verschiedenen Stipendien unterstützen einen finanziell. Die Leute und das Land an sich sind aber jeden Cent wert. Auch wenn es im Sommer natürlich noch schöner ist, würde ich für ein Nutztierpraktikum immer wieder diese Zeit auswählen, da jene einfach so viele Möglichkeiten mit sich bringt, Erfahrungen zu sammeln. Viel schlimmer wäre es, für ein Praktikum hier zu sein, und nur von Betrieb zu Betrieb zu fahren, um 1000 Kühe zu impfen oder trockenzustellen. Also einfach mal im Internet recherchieren und Kliniken anschreiben. Ich hätte mir nichts Besseres vorstellen können, als mein PJ so zu beenden.
Björn Gailus